Die Gedanken sind frei? Nein: patentiert!

Chronik der Software-Patente in der EU

1971: Die Berner Übereinkunft stellt Software Werken der Literatur gleich. Damit gilt für Software das Urheberrecht: Der Autor entscheidet, welche Handlungen (anwenden, kopieren, weiterverbreiten, …) für wen erlaubt sind und für wen nicht.
1973: Die europäische Patentübereinkunft (EPÜ) vereinheitlicht das europäische Patentrecht. In Artikel 52 werden dabei Patente auf Software („Programme für Datenverarbeitungsanlagen“) ausdrücklich ausgeschlossen.
20.2.2002: Die EU-Kommission verabschiedet einen Richtlinienentwurf, demzufolge Software („computerimplementierte Erfindungen“) patentierbar werden soll.
Juli 2002: Die europäische Monopolkommission warnt vor Software-Patenten und kritisiert die derzeitige Praxis, EU-Software-Patente entgegen geltendem Recht zuzulassen.
24.9.2003: Das EU-Parlament formuliert den Richtlinienentwurf um, so daß Software nicht patentierbar wird, und verabschiedet die geänderte Richtlinie in 1. Lesung.
18.5.2004: Der EU-Ministerrat formuliert einen neuen Richtlinienentwurf, der die Änderungen des EU-Parlaments rückgängig macht, und legt diesen mit knapper Mehrheit als „gemeinsamen Standpunkt“ der Mitgliedsstaaten vor. Entgegen vorherigen Ankündigungen liefert das deutsche Justizministerium die entscheidenden Stimmen.
1.6.2004: Das niederländische Parlament fordert die niederländische Regierung auf, ihre Zustimmung zum „gemeinsamen Standpunkt“ im EU-Ministerrat zurückzunehmen.
23.9.2004: Die offizielle Verabschiedung des „gemeinsamen Standpunkts“ wird „aufgrund von Schwierigkeiten mit der Übersetzung“ auf nach den Neuwahlen zum EU-Parlament vertagt.
1.11.2004: Nach geänderten Stimmenverhältnissen infolge der EU-Osterweiterung ist der „gemeinsame Standpunkt“ vom 18.5.2004 nicht mehr mehrheitsfähig.
17.11.2004: Die polnische Regierung drängt auf Rücknahme des „gemeinsamen Standpunkts“.
25.11.2004: [Die EU \– keine Bananenrepublik!] Der „gemeinsame Standpunkt“ vom 18.5.2004 erscheint als A-Punkt auf der Tagesordnung des EU-Rats für Wettbewerb Fischerei. („A-Punkt“ = „Da kein Diskussionsbedarf besteht, wird dieser Punkt gemeinsam mit der Tagesordnung angenommen.“) Polen kündigt ein Veto an; der Punkt wird daraufhin wieder von der Tagesordnung entfernt.
21.12.2004: Der „gemeinsame Standpunkt“ vom 18.5.2004 erscheint als A-Punkt auf der Tagesordnung des EU-Rats für Landwirtschaft und Fischerei. Polen verhindert das Abnicken.
24.1.2005: Der „gemeinsame Standpunkt“ vom 18.5.2004 erscheint als A-Punkt auf der Tagesordnung des EU-Rats für Landwirtschaft und Fischerei. Polen verhindert das Abnicken.
31.1.2005: Der „gemeinsame Standpunkt“ vom 18.5.2004 erscheint als A-Punkt auf der Tagesordnung des EU-Rats für allgemeine Fragen und Außenbeziehungen. Dänemark verhindert das Abnicken.
2.2.2005: Der Rechtsausschuß des EU-Parlaments empfiehlt einen Neustart des Verfahrens.
5.2.2005: Der „gemeinsame Standpunkt“ vom 18.5.2004 erscheint als A-Punkt auf der Tagesordnung des EU-Rats für allgemeine Fragen und Außenbeziehungen. Dänemark verhindert das Abnicken.
9.2.2005: Das spanische Parlament spricht sich gegen den „gemeinsamen Standpunkt“ des Ministerrats aus.
11.2.2005: Das niederländische Parlament fordert die niederländische Regierung auf, den „gemeinsamen Standpunkt“ des Ministerrats nicht mehr zu unterstützen.
17.2.2005: Das EU-Parlament beantragt offiziell einen Neustart des festgefahrenen Verfahrens.
18.2.2005: Der deutsche Bundestag kritisiert mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP die Bundesregierung für ihre Unterstützung des „gemeinsamen Standpunkts“ und fordert sie auf, stattdessen die Position des EU-Parlaments zu unterstützen.
24.2.2005: Der „gemeinsame Standpunkt“ vom 18.5.2004 erscheint als A-Punkt auf der Tagesordnung des EU-Rats für Landwirtschaft und Fischerei, verschwindet aber wieder.
27.2.2005: Eine im Auftrag des EU-Parlaments durchgeführte Studie weist auf das Risiko amerikanischer Verhältnisse bei Annahme des „gemeinsame Standpunkt“ des EU-Ministerrats hin.
28.2.2005: Die EU-Kommission weist den Antrag des EU-Parlaments auf Neustart des Verfahrens ohne Begründung zurück.
7.3.2005: Der „gemeinsame Standpunkt“ vom 18.5.2004 erscheint als A-Punkt auf der Tagesordnung des EU-Rats für Wettbewerb. Dänemark, Polen und Portugal fordern Umwandlung in einen B-Punkt (= neue Diskussion). Dies wird jedoch von der luxemburgischen Ratspräsidentschaft – unter Mißachtung der Geschäftsordnung des Rats – abgewiesen: Der „gemeinsame Standpunkt“ wird als A-Punkt (= „ohne Diskussionsbedarf“) verabschiedet.
6.7.2005: Das EU-Parlament weist den Richtlinienvorschlag des EU-Ministerrats in 2. Lesung mit überwältigender Mehrheit (nahezu drei Viertel) zurück.
Frühjahr/Sommer 2006: Die EU-Kommission startet den Versuch, die Erteilungspraxis des Europäischen Patentamts im European Patent Litigation Agreement (EPLA) zu kodifizieren – ohne Beteiligung des EU-Parlaments.