Die Gedanken sind frei? Nein: patentiert!

Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission

Am 20.2.2002 verabschiedete die Kommission der Europäischen Union (EU-Kommission) einen Richtlinienentwurf zur Änderung des europäischen Patentrechts.

In der zugehörigen Presseerklärung heißt es:

Hingegen könnten Computerprogramme als solche nicht patentiert werden. Ebenso wenig Geschäftsmethoden, die bereits vorhandene technische Ideen aufgreifen und sie beispielsweise auf den elektronischen Geschäftsverkehr anwenden. Für sie würde gegebenenfalls weiterhin das Urheberrecht oder die diesbezüglichen Geheimhaltungsvorschriften gelten. Patentschutz und Urheberrechtsschutz sind Instrumente zum Schutz geistigen Eigentums, die sich gegenseitig ergänzen.

Dies klingt eigentlich nicht danach, als würde Software patentierbar werden.

Leider sieht der Inhalt des eigentlichen Richtlinienentwurfs völlig anders aus:

Artikel 4: Voraussetzungen der Patentierbarkeit

1. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine computerimplementierte Erfindung patentierbar ist, sofern sie gewerblich anwendbar und neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

2. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Voraussetzung der erfinderischen Tätigkeit nur erfüllt ist, wenn eine computerimplementierte Erfindung einen technischen Beitrag leistet.

Software wird also dann patentierbar, wenn sie technisch ist.

Wann ist dies der Fall? Auch dies wird im Richtlinienentwurf ausgeführt:

Artikel 3: Gebiet der Technik

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine computerimplementierte Erfindung als einem Gebiet der Technik zugehörig gilt.

Soll das wirklich heißen, daß jede Software als „technisch“ und somit patentierbar eingestuft wird? Auf Seite 7 des Richtlinienentwurfs findet sich dazu im vorletzten Absatz die folgende Erläuterung:

[…], dass alle Programme, die auf einem Computer ablaufen, per Definition als technisch anzusehen sind (da es sich bei dem Computer um eine Maschine handelt). Sie überwinden somit die erste Hürde auf dem Weg zur Patentierbarkeit.

Mit anderen Worten: Jede Software wird patentierbar!

Mit welcher Begründung?

Seite 4 des Richtlinienentwurfs der EU-Kommission berichtet von einer Sondierung und mehreren Studien, deren Ergebnisse in den Richtlinienentwurf eingeflossen sind.

Sondierung

Vom 19. Oktober 2000 bis zum 15. Dezember 2000 hatte die Öffentlichkeit Gelegenheit, zu einem Sondierungspapier der EU-Kommission Stellung zu nehmen. Das Ergebnis der Sondierung wurde in einem Bericht unter http://europa.eu.int/ comm/ internal_market/ de/ indprop/ softpatanalyse.htm veröffentlicht.

Leider enthält der Bericht keine vollständigen Zahlenangaben. Entnehmen läßt sich folgendes:

  • Von den eingegangenen 1447 Antworten konnten 1263 einem Herkunftsland zugeordnet werden. Von diesen sprachen sich 1164 (92%) gegen und 99 (8%) für Software-Patente aus.

  • Unter den Software-Patent-Gegnern stellten die Software-Entwickler mit 56,2% die größte Berufsgruppe; unter den Software-Patent-Befürwortern waren es die Patentjuristen („IPR Professionals“) mit 44%.

  • 1161 der 1447 Antworten (80%) wurden indirekt über die EuroLinux-Allianz gegen Software-Patente eingereicht. Davon sprachen sich 1153 (99,3%) gegen und 8 (0,7%) für Software-Patente aus.

Auswertung der Sondierung

Der öffentliche Bericht beschreibt die Auswertung der Sondierungsergebnisse folgendermaßen:

54% of responses that were sent directly to the Commission and were not from explicit „Open Source“ respondents, supported software related patents.

Übersetzung: 54% derjenigen Antworten, die direkt an die Kommission geschickt wurden und die nicht von erklärten „Open-Source“-Befürwortern stammten, unterstützten Software-bezogene Patente.

In dem Richtlinienentwurf heißt es dazu auf Seite 4:

Auch wenn zahlenmäßig deutlich weniger Reaktionen aus dieser Kategorie eintrafen als aus der Open-Source-Bewegung, gibt zweifellos das wirtschaftliche Gewicht – gemessen an der Zahl der betroffenen Arbeitsplätze und der Höhe der Investitionen – den Ausschlag zugunsten einer Harmonisierung im Sinne des Sondierungspapiers.

Umfrage: Mittelständische Software-Unternehmen

Im Rahmen einer Studie, die der Frage nachgehen sollte, wie mittelständische Software-Unternehmen ihr geistiges Eigentum schützen, wurden die Unternehmen auch zum Thema „Software-Patente“ befragt. Laut dieser Umfrage halten mittelständische Unternehmen …

[…] Patente für komplex, teuer und von kleinen Unternehmen nur schwer durchsetzbar und daher für weniger nützlich als den Urheberrechtsschutz oder informelle Schutzmöglichkeiten.

Auswertung der Umfrage: Mittelständische Software-Unternehmen

Die EU-Kommission hält das Ergebnis der Umfrage nicht für relevant. Auf Seite 4 des Richtlinienentwurfs steht dazu:

Die mittelständischen Unternehmen, die an der Befragung teilnahmen, wussten in der Regel recht wenig über die Möglichkeiten, ihre Produkte durch Patente zu schützen.

Stattdessen schließt die EU-Kommission aus der Umfrage, …

[…], dass die mittelständische Wirtschaft stärker sensibilisiert werden muss und dass vor allem die Fachleute und die für die Verwaltung der einzelnen Systeme zuständigen Personen gefordert sind.

Studie: USA als Testfall

Auf Seite 6 des Richtlinienentwurfs wird auf eine Studie „The Economic Impact of Patentability of Computer Programs“ verwiesen:

Sie kommt zu dem Schluss, dass die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen zum Wachstum der Softwareindustrie in den Vereinigten Staaten beigetragen hat und vor allem dazu, dass mittelständische Unternehmen und unabhängige Softwareentwickler zu großen, ja sogar führenden Unternehmen heranwachsen konnten […].

Gleichzeitig warnt die Studie:

Erstens werden wohl eindeutig ungültige Patente erteilt (besonders im Bereich e-Commerce). Dies betrifft Patente auf Erfindungen, die entweder nicht neu sind oder denen auf den ersten Blick keine erfinderische Tätigkeit zugrunde liegt. Zweitens könnten Patente auf computerimplementierte Erfindungen die Position mächtiger Marktteilnehmer stärken. Drittens verursachen Patente auf inkrementelle Innovationen, wie sie für die Softwareindustrie charakteristisch sind, wirtschaftliche Kosten, denn es müssen Patentinhaber ermittelt und Verhandlungen über die nötigen Lizenzen geführt werden.

Auswertung der Studie: USA als Testfall

Hierzu heißt es auf Seite 6 des Richtlinienentwurfs:

Die Studie konnte jedoch nicht belegen, dass die bedenklichen Aspekte schwerer wiegen als die positiven Auswirkungen der Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen in den USA. Sie deutet dagegen an, dass es in Europa besser als in den Vereinigten Staaten gelingen könnte, die negativen Auswirkungen zu vermeiden […].

Die Rolle der BSA

Mitte Februar 2002 zirkulierte in Regierungskreisen ein Richtlinienentwurf in Gestalt einer PDF- und einer MS-Word-Datei. In letzterer wird (in einem versteckten Autorenfeld) Francisco Mingorance als Autor des Dokuments genannt, der derzeitige Europa-Referent der Business Software Alliance (BSA).

Darauf angesprochen, erklärte der Pressedienst der EU-Kommission, daß es sich hierbei nicht um den Entwurf der Kommission sondern um „einen Entwurf aus der Wirtschaft“ handle.

Nichtsdestoweniger sind beide Richtlinienentwürfe in weiten Teilen im Wortlaut identisch! (Eine Gegenüberstellung finden Sie unter http://swpat.ffii.org/ papiere/ eubsa-swpat0202/ index.de.html.)

Demnach wurde also der Entwurf für eine Richtlinie zur EU-Gesetzgebung von der BSA geschrieben. Wer aber ist die BSA?

Die BSA ist ein Zusammenschluß der größten amerikanischen Software-Unternehmen, darunter Adobe, Apple, Autodesk, Bentley Systems, CNC Software/Mastercam, Macromedia, Microsoft, Symantec, UGS, HP/Compaq, Dell, Entrust, IBM, Intel, Intuit, Network Associates, Novell und Sybase. Bekannt geworden ist die BSA vor allem durch ein rigoroses Vorgehen gegen illegales Kopieren von Software, wobei sie sich teilweise fragwürdiger Methoden bedienen. Den Medien zufolge sind IBM und Microsoft die tonangebenden Mitglieder der BSA.

Die BSA vertritt die amerikanischen Software-Großkonzerne – vor allem IBM und Microsoft.

Wir halten es für sehr bedenklich, daß ein von dieser Organisation maßgeblich geschriebener Richtlinienentwurf in europäisches Recht umgesetzt werden soll.