Das EPA-Referral
Wie
im Amtsblatt des Europäischen Patentamts (EPA) veröffentlicht,
hat die Präsidentin des EPA, Alison Brimelow, der Großen
Beschwerdekammer des EPA Rechtsfragen vorgelegt, die „die
Grenzen der Patentierbarkeit von Programmen für
Datenverarbeitungsanlagen gemäß Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ
betreffen”.
Mit anderen Worten: Das EPA stellt sich selbst die Frage, ob die
in den letzten Jahrzehnten massenhaft erteilten Patente auf
Software und Geschäftsmethoden – trotz eindeutigen
Verstoßes gegen geltendes Recht
(Art. 52 EPÜ)
– rechtmäßig waren.
Wir wollen an dieser Stelle die Fragen des EPA exemplarisch
erläutern.
Frage 1. Kann ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen nur dann
als Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches von der
Patentierbarkeit ausgeschlossen werden, wenn es ausdrücklich als
Programm für Datenverarbeitungsanlagen beansprucht wird?
Die Frage klingt absurd. Wieso sollte es von der
Formulierung einer Patentschrift abhängen, ob ein Patent
gesetzeskonform ist oder nicht? Ein Erpresserbrief wird ja
ebenfalls nicht anhand stilistischer Kriterien bewertet;
strafrechtlich relevant ist allein sein Inhalt. Ein
Software-Patent ist illegal gemäß Art. 52 EPÜ, auch wenn man es
anders bezeichnet:
(1) Europäische Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten
der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer
erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.
(2) Als Erfindungen im Sinne des Absatzes 1 werden insbesondere
nicht angesehen: […]
c) Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für
Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für
Datenverarbeitungsanlagen;
Insofern müßte die Antwort eindeutig „nein“ lauten.
Tatsächlich aber hat das EPA etliche Patente auf Software und
Geschäftsmethoden erteilt, die nicht ausdrücklich als solche,
sondern unter Überschriften wie etwa „digital steuerbares
interaktives Anzeigegerät“ beantragt wurden, hier beispielsweise das
Patent
auf das Kontext-Menü. Anscheinend genügte diese
Umformulierung dem EPA bereits, um Art. 52 EPÜ (3) anzuwenden:
(3) Absatz 2 steht der Patentierbarkeit der dort genannten
Gegenstände oder Tätigkeiten nur insoweit entgegen, als sich die
europäische Patentanmeldung oder das europäische Patent auf diese
Gegenstände oder Tätigkeiten als solche bezieht.
„Das Patentierungsverbot überwinden …“
Frage 2. a) Kann ein Anspruch auf dem Gebiet der Programme für
Datenverarbeitungsanlagen das Patentierungsverbot nach Artikel 52
(2) c) und (3) EPÜ allein schon dadurch überwinden, dass
ausdrücklich die Verwendung einer Datenverarbeitungsanlage oder
eines computerlesbaren Datenspeichermediums erwähnt wird?
Dieses Ansinnen erscheint zunächst ebenso absurd wie Frage 1,
entspricht aber ebenfalls der gängigen Praxis des EPA bei der
Erteilung von Software-Patenten. Ein Beispiel ist das 2001 erteilte
Patent
auf Dialoge mit Karteikartenreitern.
Im Software-Patent-Richtlinienentwurf
von 2002 stand auf Seite 7, daß „alle Programme, die
auf einem Computer ablaufen, per Definition als technisch
anzusehen sind (da es sich bei dem Computer um eine Maschine
handelt). Sie überwinden somit die erste Hürde auf dem Weg zur
Patentierbarkeit.“ Nach dem endgültigen Scheitern dieses
Richtlinienentwurfs im Jahr 2005 sucht das EPA nun nach anderen
Wegen, diese Praxis im Nachhinein zu rechtfertigen.
Sehen wir uns dazu die nächste Frage an.
Frage 2. b) Wenn Frage 2 a verneint wird, ist zur Überwindung des
Patentierungsverbots eine weitere technische Wirkung
erforderlich, die über die Wirkungen hinausgeht, die mit der
Verwendung einer Datenverarbeitungsanlage oder eines
Datenspeichermediums zur Ausführung bzw. Speicherung eines
Programms für Datenverarbeitungsanlagen inhärent verbunden sind?
Abgesehen davon, daß es wieder um eine „Überwindung des
Patentierungsverbots“ geht und nicht darum, geltendes Recht
zu erfüllen und/oder die Interessen der Bürger zu wahren, klingt
dies ja schon fast vernünftig. Damit also Software patentierbar
wird, ist eine weitere technische Wirkung erforderlich. Letztlich
handelt es sich also um eine technische Neuerung. Die Software
ist nur unterstützendes Beiwerk, und das Patent wird
berechtigterweise erteilt. Oder?
Leider nein, nur ist der Unterschied diesmal subtiler. Das EPA
erteilt ein Software-Patent, wenn es einerseits neue und
andererseits technische Lehren enthält.
Daß die Lehre sowohl neu als auch technisch
sein muß, wird nicht vorausgesetzt. Es läuft also einmal
mehr darauf hinaus, durch geschicktes Formulieren ein Patent
auf alles erteilt zu bekommen.
„Ein Doppelzimmer? Sind Sie denn verheiratet?“ –
„Ja, natürlich!“ – „Ich auch!“
Noch vor 50 Jahren gab es den sog. Kuppeleiparagraphen,
demzufolge sich jeder Hotelier strafbar machte, der einem
unverheirateten Paar ein Doppelzimmer vermietete. Stellen wir uns
nun einmal die folgende Szene im Jahr 1959 vor:
Hotelier: „Ein Doppelzimmer? Sind Sie denn verheiratet?“
Er: „Ja, natürlich!“
Sie: „Ich auch!“
Wenn der Hotelier später von den jeweiligen Ehegatten der beiden
Hotelgäste wegen Kuppelei angezeigt wird, wird man ihn vor
Gericht sicherlich belehren, daß er hätte fragen müssen, ob seine
Gäste denn auch miteinander verheiratet seien.
Nun dieselbe Szene 2009 im Europäischen Patentamt (EPA):
Art. 52 EPÜ: „Ein Patent? Enthält es denn etwas Neues, Technisches?“
Patentprüfer 1: „Ja, natürlich enthält es etwas Neues!“
Patentprüfer 2: „Und auch etwas Technisches!“
Art. 52 EPÜ schließt Software aus gutem Grund von der
Patentierbarkeit aus. Anstatt dieses Gesetz zu brechen und dies
unter Zuhilfenahme sprachlicher Spitzfindigkeiten zu
rechtfertigen – Software, die mit etwas Technischem in
Verbindung steht, sei keine Software als solche mehr und
somit patentierbar –, täte das EPA besser daran, sich an
das Gesetz zu halten.
Danach wiederholt es sich. In Frage 3 wird die „weitere
technische Wirkung“ aus Frage 2 durch „eine
technische Wirkung auf einen physikalischen Gegenstand in der
realen Welt“ ersetzt, und Frage 4 versucht noch einmal,
Computer-Programme als notwendigerweise technisch und somit
patentierbar darzustellen.
Zusammengefaßt lautet die Methode des EPA zur Erteilung von
Software-Patenten unter Umgehung von Art. 52 EPÜ wie folgt:
-
Schreibe ein Software-Patent.
-
Erwähne in den Patentansprüchen einen zusätzlichen technischen Gegenstand.
-
Dank dieser Erwähnung handelt es sich bei der Software nicht
mehr um „Software als solche“.
-
Das Patent wird erteilt.
Nach Logik des EPA müßte es übrigens möglich sein, die o.a.
Geschäftsmethode zu patentieren. Die Erwähnung eines technischen
Gegenstands – z.B. eines Bürostuhls, auf dem man während
der Ausführung der o.a. Geschäftsmethode sitzt – soll ja
ausreichen, damit es sich nicht mehr um eine
„Geschäftsmethode als solche“ handelt. Der Stuhl muß
dabei nicht neu sein; es reicht, wenn die Geschäftsmethode neu
ist. Und die Geschäftsmethode muß nicht technisch sein; es
reicht, wenn der Stuhl es ist.
Wozu das alles?
Für jedes erteilte Patent fließt Geld an das EPA. Es ist daher
verständlich, wenn das EPA ein Interesse daran hat, daß möglichst
viel patentiert wird.
Nun ist das EPA nicht berechtigt, Gesetze eigenmächtig zu ändern.
Dies obliegt allein dem Gesetzgeber – in diesem Fall der
EU-Kommission, die Gesetze vorschlagen darf, und dem
EU-Parlament, das diese Vorschläge abändern und darüber
beschließen darf.
Als Anlaufstelle für Beschwerden gegen unrechtmäßig erteilte
Patente verfügt das EPA jedoch über eine Art richterliche Gewalt.
Es kann Gesetze auslegen, und diese Auslegung ist gültig, solange
kein richtiges Gericht dem widerspricht. Letzteres geschieht aber
nur von Fall zu Fall, daher ist mit einer grundsätzlichen
Entscheidung der Gerichte gegen die Auslegung von Art. 52 EPÜ
durch das EPA nicht zu rechnen.
Nur der Gesetzgeber kann durch eine Klarstellung von Art. 52 EPÜ
dem Software-Patent-Wahnsinn ein Ende bereiten.
Die Neuwahlen zum EU-Parlament stehen ins Haus. Sprechen Sie mit
Ihrem Kandidaten über das Verhalten des Europäischen Patentamts
(EPA). Erwähnen Sie dabei ruhig die 2005 abgelehnte
Software-Patent-Richtlinie.
Unterstützen Sie Initiativen zur Rettung des
Software-Markts vor dem Patent-Unwesen:
StopSoftwarePatents.eu
FFII
patentfrei.de
BIKT
|