Klare Grenzen der Patentierbarkeit,
angewendet auf zwei Real-Beispiele
Am 24.9.2003 verabschiedete das EU-Parlament in 1. Lesung einen
Entwurf für eine Gesetzesrichtlinie, der eine klare Grenze
zwischen patentierbaren Erfindungen und nicht-patentierbarer
Software zog. Vereinfacht ausgedrückt, lautet das Kriterium, daß
die Neuerung im Bereich der Technik liegen muß, wobei
„Technik“ als planmäßige Anwendung beherrschbarer
Naturkräfte definiert ist. Ein solches Kriterium hätte den
in der Europäischen Patentübereinkunft (EPÜ) vorgenommenen
Ausschluß von Software-Patenten noch einmal bestätigt und
verdeutlicht.
Anläßlich der zweiten Lesung am 6.7.2005 wurde von Seiten der
Software-Patent-Lobby behauptet, diese Richtlinie „schütte
das Kind mit dem Bade aus“. Es sei falsch, Software-Patente
(„Computer-implementierte Erfindungen“) komplett
auszuschließen; einige davon seien vielmehr überaus nützlich.
Die Debatte endete unentschieden. Der Versuch, in zweiter Lesung
einen völlig anderen Richtlinienentwurf durchzubringen, der
Software-Patente eindeutig legitimiert hätte, wurde am 6.7.2006
vom EU-Parlament mit überwältigender Mehrheit zurückgewiesen.
Stattdessen wurde überhaupt keine neue
Gesetzesrichtlinie verabschiedet.
Im folgenden soll anhand zweier Real-Beispiele illustriert
werden, auf welche Weise das vom EU-Parlament in 1. Lesung
vorgeschlagene Kriterium die Spreu vom Weizen hätten trennen
können.
Beispiel 1: Innovativer Webstuhl mit Steuerungs-Software
Wir betrachten einen elektronisch gesteuerten Webstuhl. Durch
eine Änderung in der Steuer-Software wird die Handhabung des
Fadens verbessert. Wäre diese Neuerung eine patentierbare
Erfindung gemäß der vom EU-Parlament in 1. Lesung verabschiedeten
Richtlinie?
Ja, das wäre sie.
Die Neuerung ist nicht innerhalb der Software angesiedelt,
sondern in der Anwendung von Naturkräften zur Handhabung
des Fadens im Webstuhl. Die innovative Steuerung des Webstuhls
kann dabei auf mechanischem Wege oder Software-gestützt erfolgen;
dieser Unterschied ist für die Natur der Innovation
nicht relevant.
Im Frühjahr 2005 wurde dieses Patent (EP 1147250, Te Strake) den
Abgeordneten des EU-Parlaments als ein Beispiel für ein
nützliches Software-Patent („Computer-implementierte
Erfindung“) präsentiert. Tatsächlich aber wird hier keine
Software patentiert, sondern ein Verfahren zur Anwendung von
Naturkräften innerhalb des Webstuhls.
Beispiel 2: Webstuhl mit innovativer Steuerungs-Software
Betrachten wir nun eine andere Art von Neuerung in derselben
Maschine. Anstatt die Handhabung des Fadens zu ändern, verbessern
wir die Steuer-Software des Webstuhls um ihrer selbst willen,
indem wir sie um Unterstützung für einen neuen
Computer-Netzwerk-Standard erweitern (z.B. Bedienung des
Webstuhls über eine Internet-Verbindung).
Diese Art von Neuerung wäre keine patentierbare
Erfindung im Sinne des Richtlinienvorschlags des EU-Parlaments in
1. Lesung. Und sie sollte auch keine sein.
Warum nicht?
Um dies zu verstehen, müssen wir uns damit befassen, wie
Konkurrenz auf dem Software-Markt funktioniert.
Betrachten wir zwei konkurrierende Webstuhl-Hersteller A und B.
Hersteller A bringt Webstühle auf den Markt, die einen neuen
Netzwerk-Standard unterstützen. Konkurrent B möchte diese
Innovation ebenfalls anbieten. Welche Möglichkeiten hat B?
B könnte beispielsweise einen Webstuhl von A erwerben, die
Steuer-Software extrahieren und in unveränderter Form auf seinen
eigenen Webstühlen nutzen. Damit würde B gegen das Urheberrecht
von A verstoßen; diese Möglichkeit wäre also illegal.
Als nächstes könnte B die Software von A analysieren
(“reverse-engineering“) und neu implementieren. Dies
wäre zwar ebenfalls ein Verstoß gegen das Urheberrecht von A,
aber schwerer nachzuweisen.
Wie jeder Programmierer bestätigen kann, ist dies ein extrem
aufwendiges Unterfangen. Sobald die Software einen gewissen
Umfang hat, ist es nahezu unmöglich. (In der Praxis greifen
Programmierer zu diesem Mittel nur dann, wenn es keinen anderen
Weg gibt, Interoperabilität zur Software eines Konkurrenten
herzustellen. Dies ist gleichzeitig der einzige Fall, in dem es
legal ist.)
Warum ist dies so schwierig?
Wenn ein Programmierer Software schreibt, bearbeitet er den
sogenannten Quelltext. Dieser wird auch benötigt, um die
Software zu verändern – zum Beispiel, um sie an einen
anderen Webstuhl anzupassen. Dadurch daß Hersteller A den
Quelltext zum Geschäftsgeheimnis macht, kann er seine
Software-Innovation gegen eine Eins-zu-eins-Übernahme durch
Konkurrenten schützen. Dieser Mechanismus hat sich in den letzten
20 Jahren als überaus wirkungsvoll erwiesen.
Hersteller B bleibt damit nur eine einzige Möglichkeit, um mit A
zu konkurrieren: durch Beobachtung zu analysieren, wie sich die
Software auf dem Webstuhl von A verhält, und unabhängig eine neue
Software zu schreiben, die sich in gleicher Weise
verhält.
Eine solche unabhängige Neu-Implementation verursacht genausoviel
Aufwand wie die ursprüngliche Innovation. Das, was man durch die
Analyse interessanter Ideen in der Software der Konkurrenz
gewinnt, verliert man durch den Zwang, Details akribisch
nachzubilden, bei denen der ursprüngliche Programmierer den in
seiner Situation einfachsten Ansatz frei wählen konnte.
Wenn Hersteller B mit seiner unabhängigen Entwicklung Erfolg hat,
kann er mit A konkurrieren. In der Zwischenzeit kann A bereits
einen hohen Marktanteil gewonnen oder die nächste Innovation zur
Marktreife gebracht haben. So funktioniert fairer Wettbewerb in
einer freien Marktwirtschaft.
Wir fassen zusammen:
Gegen diejenigen Fälle, in denen B durch Eins-zu-eins-Übernahme
einer Innovation von A einen ungerechtfertigten Vorteil erlangen
könnte, kann sich A durch das Urheberrecht und durch
Geschäftsgeheimnisse schützen.
Der Fall, in dem Konkurrent B den gleichen Aufwand betreiben muß
wie A, um dieselbe Innovation anbieten zu können, ist legal im
Sinne des Urheberrechts. Er wäre illegal, wenn ein Patent
erteilt würde.
Bei diesen Überlegungen spielt es keine Rolle, ob die Software
auf einem Standard-Computer oder auf einem Webstuhl läuft.
Tatsächlich würde ein Patent auf die Software-Innovation von A
weit mehr verbieten als nur den o.a. Fall 2 – zum Beispiel
dann, wenn A und B gleichzeitig an derselben Innovation arbeiten,
aber nur einer von beiden das Patent erhält.
Wie Beispiel 1, wurde auch dieses Patent (EP 1381202, Birdstep
Techn. ASA, Schweden) dem EU-Parlament als Beispiel für ein
nützliches Software-Patent präsentiert – mit einem
Mobiltelefon anstelle eines Webstuhls.
Obwohl Software-Patente in der EU offiziell keine Gültigkeit
besitzen, hat das Europäische Patentamt (EPA) dieses Patent am
22.3.2006 erteilt.
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