Die Gedanken sind frei? Nein: patentiert!

Hinweis: Der Autor dieser Webseiten ist kein Jurist. Die Lektüre dieser Webseiten ersetzt keinesfalls eine Rechtsberatung.

Warum gibt es eigentlich Patente?

Ein Patent ist kein natürliches Recht, das einer Person eben zusteht. Patente wurden vielmehr eingeführt, um ein volkswirtschaftliches Problem zu lösen:

  • Ein Erfinder muß viel Zeit, Mühe und Geld investieren, um eine Idee nutzbar zu machen.

  • Weniger innovative Zeitgenossen sparen den Entwicklungsaufwand, indem sie die fertige Erfindung einmal kaufen und anschließend kopieren.

  • Der Erfinder wird daher alles tun, um die technischen Details seiner Erfindung geheimzuhalten – durch verschleiernde Bauweise und strenges Geheimhalten aller Konstruktionspläne.

  • Irgendwann stirbt der Erfinder und nimmt das gesamte Wissen über seine Erfindung mit ins Grab. Dadurch geht die Erfindung der Gesellschaft wieder verloren.

Um dieses Problem zu lösen, schafft der Staat per Gesetz einen Anreiz zur Offenlegung:

  • Der Staat gewährt dem Erfinder ein zeitlich begrenztes Monopol auf die wirtschaftliche Nutzung seiner Erfindung.

  • Im Gegenzug verpflichtet sich der Erfinder, die technischen Details der Erfindung in einer Patentschrift offenzulegen.

  • Das zeitlich begrenzte Monopol gewährleistet dem Erfinder die Rentabilität seiner Investition.

  • Nach Ablauf dieses Zeitraums kommt die offengelegte Erfindung der Allgemeinheit zugute.

Jedes Monopol bewirkt allerdings zunächst einmal einen volkswirtschaftlichen Schaden. Bei der Umsetzung muß daher darauf geachtet werden, daß der durch die Offenlegung bewirkte Nutzen diesen Schaden wieder aufwiegt.

Wie sieht nun die konkrete Umsetzung in europäisches Recht aus?

  • Ein Detail, nämlich der Zeitraum, für den das Monopol gewährt wird, ist international geregelt: Dieser muß mindestens 20 Jahre betragen. (TRIPS, Artikel 33)

  • Die Europäische Patentübereinkunft (EPÜ) besagt in Artikel 52, daß „Programme für Datenverarbeitungsanlagen“ nicht als patentfähige Erfindungen angesehen werden.

Aber wenn dem so ist: Wie schützt man dann die Autoren von Computerprogrammen vor den Abschreibern? Hierzu besagt TRIPS in Artikel 10, Absatz 1:

Computerprogramme, gleichviel, ob sie in Quellcode oder in Maschinenprogrammcode ausgedrückt sind, werden als Werke der Literatur nach der Berner Übereinkunft (1971) [also nach dem Urheberrecht] geschützt.

Um dies zu verstehen, müssen wir uns also zusätzlich mit dem Urheberrecht befassen.

Patentrecht und Urheberrecht

Das Urheberrecht ermächtigt einen Autor, über die Verwendung seines Werkes – Lesen, Verwenden, Kopieren – zu bestimmen. Das Urheberrecht wurde für Werke des Geistes geschaffen. In gewissem Sinne ist also das Patentrecht eine Art „Urheberrecht für materielle Gegenstände“, denn es gibt dem „Autor“ (Erfinder) die Kontrolle über das „Kopieren“ (Nachbauen) des Werkes.

[Grafik]
Patent Urheberrecht
Reguliert den Nachbau materieller Werke Reguliert das Kopieren geistiger Werke
Muß beantragt und genehmigt werden Gilt automatisch
Gilt bis zu 20 Jahre lang, muß verlängert werden Gilt bis 70 Jahre nach dem Tod des Autors
Wirkt auf die zugrundeliegende Idee (Erfindung) Wirkt auf die konkrete Realisierung
Betrifft auch unabhängige Parallelentwicklungen Betrifft unmittelbare Kopien, abgeleitete Werke und Plagiate
Wer keine Patente verletzen will, muß eine Patentrecherche durchführen Bei unabhängiger Entwicklung keine Gefahr der Verletzung

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Urheberrecht als Motor der Software-Industrie erwiesen. Es ermöglicht dem Autor eine angemessene Kontrolle über sein Werk. Dies funktioniert bei Software noch besser als z.B. bei Büchern, was damit zusammenhängt, daß es bei Software eine Trennung zwischen dem bearbeitbaren Quelltext und der ausführbaren Binärform gibt.

Wer eine Software unabhängig entwickelt, kann umgekehrt sicher sein, niemandes Urheberrecht zu verletzen. Derartige Rechtssicherheit ist eine solide Grundlage für Existenzgründungen.

Probleme entstehen, sobald wir das Patentrecht auf einen Bereich anwenden, für den es nicht vorgesehen war: Software, die eindeutig nicht materieller, sondern geistiger Natur ist.

  • Wenn die zugrundeliegende Idee patentiert ist, kann man eine Software völlig eigenständig entwickeln und trotzdem wegen Patentverletzung verklagt werden.

  • Wegen der universellen Verwendbarkeit der Algorithmen sind Patentrecherchen extrem aufwendig und unzuverlässig. Man kann getrost davon ausgehen, daß jede marktreife Software mindestens 100 Patente verletzt, von denen der Autor nichts ahnt.

  • Derart umfassende Kontrollmöglichkeiten für einen Zeitraum von 20 Jahren zu gewähren, ist für Software-Verhältnisse unangemessen lang.

  • Bei der Software-Entwicklung spielen aufeinander aufbauende Entwicklungen und die Zusammenarbeit mit Produkten der Konkurrenz (Interoperabilität) eine besondere Rolle. Beides wird durch Patente stark behindert.

Der bereits oben angesprochene volkswirtschaftliche Schaden durch Monopole ist im Falle von Software also besonders stark ausgeprägt. Es stellt sich die Frage, ob der durch den Investitionsanreiz gegebene Nutzen diesen Schaden überwiegt.

  • Dadurch, daß Patente erst langwierig angemeldet werden müssen, sind sie als Investitionsschutz für Software nur bedingt geeignet. Das Urheberrecht hingegen greift sofort und hat sich als Investitionsschutz für Software bewährt.

  • Software-Patente werden in der Praxis strategisch eingesetzt: Amerikanische Großkonzerne verwalten Pools von teilweise mehreren 1000 Patenten, mit denen sie Druck auf andere Unternehmen ausüben können.

  • Kleine Software-Schmieden, die Software-Patente erwerben, haben nicht viel davon: Sobald sie Software schreiben, verletzen sie unweigerlich Patente aus den Pools der Großkonzerne und müssen deren Lizenzbedingungen akzeptieren, anstatt umgekehrt.

Aber war es nicht so, daß der Patentinhaber die Details seiner Erfindung offenlegen muß, damit sie nach Ablauf des Monopols der Allgemeinheit zugute kommen?

  • Die Praxis zeigt, daß die Offenlegung der Details in der Patentschrift eines Software-Patents für Fachleute wertlos ist. Bereits ein flüchtiger Blick auf die tatsächlich geschriebene Software ist meistens aussagekräftiger.

  • Gerade diejenige Software, die durch Offenlegung der Details der Allgemeinheit zugute kommt – freie Software oder Open-Source-Software – wird durch Software-Patente besonders stark geschädigt.

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß Software-Patente einen volkswirtschaftlichen Schaden bewirken, der den Nutzen bei weitem überwiegt.

Warum sollen sie dann jetzt auch in Europa eingeführt werden?

Wer profitiert?

  • Patentämter und Patentanwälte verdienen naturgemäß an jedem Patent.

  • Amerikanische Großkonzerne können mit Hilfe ihrer riesigen Patent-Pools Druck auf kleinere Unternehmen ausüben und ihre Marktdominanz weiter ausbauen.

  • Einer dieser Großkonzerne (Microsoft Inc.) hat mehrfach angekündigt, Software-Patente gezielt einzusetzen, um sich der Konkurrenz der freien Software zu entledigen.

  • Spezielle Patent-Grabber-Firmen, die selbst keine Software entwickeln, sondern ausschließlich Patente anmelden, sind die einzigen, die selbst von den Großkonzernen Lizenzgebühren kassieren können.

Alle anderen verlieren. Besonders hart trifft es Einzelentwickler, kleine und mittelständische Software-Unternehmen sowie alle, die Freie Software entwickeln oder einsetzen.


Für weitere Informationen zum rechtlichen Hintergrund siehe: http://swpat.ffii.org/analyse/erfindung/index.de.html