Anleitung zur Software-Patentrecherche
Trotz einer deutlichen Ablehnung durch
die europäische
Software-Industrie und durch das
EU-Parlament
plant die EU-Kommission weiterhin, Software-Patente nach
US-Vorbild auch für die EU einzuführen. Sollte dies geschehen,
werden ca. 65000 bereits – entgegen geltendem Recht –
erteilte EU-Software-Patente rechtlich durchsetzbar.
Mit diesem Text möchten wir Programmierern die anstrengende und
demotivierende Tätigkeit der Patentrecherche erleichtern, die
möglicherweise in den nächsten Jahren das Entwickeln und Austesten
von Software als hauptsächliches Tätigkeitfeld ihres Berufs
ablösen wird. In Form einer FAQ-Liste (“frequently asked
questions”) möchten wir hier diejenigen Fragen vorwegnehmen,
die den Arbeitsalltag zukünftiger Generationen europäischer
Programmierer dominieren werden, sofern es uns nicht gelingt, die
Entwicklung aufzuhalten.
Wichtiger Hinweis:
Der Autor dieses Textes ist kein Jurist. Dieser Text dient allein
der persönlichen Weiterbildung. Trotz sorgfältiger Recherche kann
der Autor keinerlei Gewährleistung für die Richtigkeit
des Dargestellen übernehmen. Die Verwendung der in diesem Text
wiedergegebenen Informationen erfolgt vollständig auf Ihre eigene
Verantwortung!
Leider keine Satire!
Ein Hinweis noch: Dieser Text ist keine Satire. Wenn
Ihnen einiges von dem, was wir schreiben, absurd vorkommt, so liegt
dies nicht in der Natur der Darstellung, sondern in der des
Dargestellten, nämlich der realen Tätigkeit der Patentämter und
Politiker.
Inhalt:
Welches Risiko gehe ich ein, wenn ich Patente verletze?
Was sind die möglichen Folgen?
Laut derzeitiger Rechtslage kann man Sie wegen einer
Patentverletzung zivilrechtlich belangen, d.h., Sie sind gegenüber
dem Patentinhaber schadensersatzpflichtig. Die Höhe des
Schadensersatzes hängt davon ab, wieviel entstandenen Schaden der
Kläger vor Gericht glaubhaft darstellen kann. Im Falle des
Gerichtsprozesses Adobe gegen Macromedia (USA) waren es
2,8
Millionen US-Dollar.
Es ist geplant, die diesbezüglichen Gesetze zu ändern. Sollte dies
geschehen, fallen Patentverletzungen unter das Strafrecht und Sie riskieren
Freiheitsstrafen
bis zu vier Jahren.
Wie überall, so gilt auch hier das Prinzip: Unwissenheit schützt vor
Strafe nicht. (Siehe jedoch auch weiter unten.)
Ich entwickle Software. Wie kann ich herausfinden, ob meine
Software europäische Software-Patente verletzt?
Ihre Software verletzt auf jeden Fall europäische
Software-Patente, vermutlich mehrere tausend.
Wie kann ich herausfinden, welche europäischen Software-Patente
meine Software verletzt?
Prüfen Sie für alle europäischen Software-Patente einzeln, ob Ihre
Software das Patent verletzt. Zur Zeit (Mai 2006) sind dies ca.
65000. Wenn Sie für jede einzelne Prüfung
(siehe unten)
im Durchschnitt 30 Minuten ansetzen, beträgt der Gesamtaufwand
– bei einer Arbeitszeit von 16 Stunden pro Tag an sieben
Tagen pro Woche – ca. fünfeinhalb Jahre. In der Praxis wird
es deutlich länger sein, weil die Gesamtzahl der europäischen
Software-Patente während dieses Zeitraums um mehrere 10000 wachsen
wird.
Selbst wenn Sie bereit sind, diesen Aufwand zu treiben, ist dies
nicht uneingeschränkt empfehlenswert, denn dadurch wandeln Sie
Ihre unwissentlichen Patentverletzungen in bewußte
Patentverletzungen um. Sollten Sie später wegen Verletzung eines
der Patente vor Gericht verurteilt werden, müssen Sie bei bewußter
Patentverletzung mit härteren Konsequenzen rechnen als bei
unwissentlicher.
Wie kann ich abschätzen, wieviele europäische Software-Patente
meine Software verletzt?
Lesen Sie sich einige (z.B. 200) zufällig ausgewählte
Patentschriften durch, solange bis Sie auf mehrere Patente
gestoßen sind, die Sie verletzen (z.B. 10). Anhand dieser Zahlen
können Sie die Gesamtzahl der Patente hochrechnen, die Ihre
Software verletzt (hier z.B. 10/200 von 65000, also 3250
Patentverletzungen).
Wo finde ich die Patentschriften?
Der
Förderverein für eine Freie
Informationelle Infrastruktur (FFII) e.V. pflegt unter
http://gauss.ffii.org eine
Datenbank der europäischen Software-Patente. Dort können Sie sich
jederzeit eine zufällige Auswahl von Patentnummern ausgeben
lassen oder auch gezielt nach Patenten suchen. (Warnung: Der
Server ist stark frequentiert und oft überlastet.)
Für jede Patentschrift rufen Sie nun unter
http://www.espacenet.com
das Originaldokument der zuletzt erteilten Fassung ab.
Dies geht am schnellsten, wenn Sie die Patentschrift direkt
anwählen. Beispielsweise lautet die direkte URL für das Patent Nr. EP 256 220:
http://v3.espacenet.com/textdoc?&DB=EPODOC&IDX=EP0256220.
(Die Patentnummer wird mit Nullen zu sieben Stellen ergänzt. Wer
dies vergißt, erhält keine Fehlermeldung, sondern nur einen Teil
der Dokumente.)
Auf der Webseite erhält man zunächst die Patentanmeldung.
Entscheidend ist jedoch die letzte erteilte Fassung. Diese ist auf
der espacenet-Webseite oben rechts unter der Überschrift
“Also published as” verlinkt. Anmeldungen tragen ein
Suffix mit „A“, erteilte Patente ein Suffix mit
„B“. Es interessiert in der Regel die B-Fassung mit
der höchsten Nummer – meistens „B1“, manchmal
aber auch „B2“ oder höher. Das vollständige Dokument
– eine PDF-Datei mit eingescannter Grafik – erhält man
übrigens nur, wenn man JavaScript einschaltet, dem Link
“Save Full Document” folgt und einen graphischen
Schlüssel abtippt. Damit soll vermutlich eine Automatisierung des
Dokumentenabrufs verhindert werden.
Wie finde ich heraus, ob ein gegebenes Patent zu einem gegebenen
Zeitpunkt tatsächlich gültig ist bzw. war?
Ein Teil der Geschichte des Patents ist auf den
espacenet-Webseiten unter “INPADOC legal status”
abrufbar. Für weitere Informationen muß man – unter Angabe
von Daten zur eigenen Person – unter
https://dpinfo.dpma.de/anmeldung.html
einen Zugang zur Datenbank des Deutschen Patent- und Markenamts
beantragen. Anschließend kann man unter
https://dpinfo.dpma.de/protect/pat.html
in die Akten zum Patent Einsicht nehmen.
(Dort erfährt man z.B., daß das Patent Nr. EP 256 220 auf die
Mausansteuerung von Programmen in Deutschland 1997 von
seinem Inhaber nicht weiter verlängert wurde. Es wäre ansonsten
bis maximal Juni 2006 gültig gewesen.)
Eine Besonderheit stellen Patente dar, die bisher nur angemeldet,
aber noch nicht erteilt worden sind. Bei Erteilung werden die
Ansprüche rückwirkend ab dem Prioritätsdatum gültig.
Insofern stellt auch die Verletzung eines noch gar nicht erteilten
Patents ein Risiko dar. Da allerdings die Patentansprüche bis zur
Erteilung noch umformuliert werden können, ist dieses Risiko
praktisch nicht abschätzbar. Von daher ist eine Beschäftigung mit
noch nicht erteilten Patenten von eher untergeordneter Wichtigkeit
– zumal an Risiken durch bereits erteilte Patente kein
Mangel herrscht.
Wie prüfe ich, ob meine Software ein gegebenes Patent verletzt?
Ich setze an dieser Stelle voraus, daß Sie mit Ihrer Software
vollständig vertraut sind. Dies betrifft jede einzelne
Quelltextzeile einschließlich sämtlicher verwendeten Bibliotheken.
Ich setze weiterhin voraus, daß Sie eine Patentschrift in der
endgültigen erteilten Fassung vor sich haben, deren
Gültigkeit Sie bereits überprüft haben
(siehe oben).
Lesen Sie die Ansprüche (“Claims”) der
Patentschrift und vergleichen Sie sie mit dem, was Ihr Programm
macht. In der Regel ist Anspruch 1 der Hauptanspruch, der
alle anderen Ansprüche als Spezialfälle mit abdeckt. Sollten Sie
feststellen, daß Ihre Software den Anspruch 1 nicht
verletzt, können Sie alle folgenden Ansprüche, die mit einer
Formulierung wie „System nach Anspruch 1“ eingeleitet
werden, ignorieren. Achten Sie aber bitte darauf, ob weiter hinten
zusätzliche Hauptansprüche formuliert werden. So kann es z.B. bei
einem Patent auf ein Komprimierverfahren vorkommen, daß Anspruch 1
die Komprimierung patentiert, Ansprüche 2 bis 30 von Anspruch 1
abhängen, Anspruch 31 die Dekomprimierung patentiert und Ansprüche
32 bis 60 von Anspruch 31 abhängen.
Lassen Sie sich nicht davon irritieren, wenn das Patent eine
Überschrift wie „Qualitätsverbesserung bei
Mobiltelefonen“ trägt, Ihre eigene Software jedoch im
Bereich der Grafikverarbeitung anzusiedeln ist. In den
allermeisten Fällen beziehen sich die Patentansprüche auf völlig
allgemeine Selbstverständlichkeiten (z.B. Komprimierverfahren aus
dem Informatik-Lehrbuch), die sowohl im Bereich des Mobilfunks als
auch in dem der Grafikbearbeitung Anwendung finden können.
Entscheidend ist, was in den Patentansprüchen steht.
Umständliche Umschreibungen wie z.B. “a digitally operable
interactive display apparatus, comprising processor means for
controlling the operation of the apparatus, a display memory for
storing picture data to be displayed on a display screen of said
apparatus, and a user interface device including position
determining means which are operable to generate address signals
for addressing respective locations in said display memory which
locations correspond to respective positions indicated by a user
on said display screen” anstelle von „Computer mit
Maus“ sind für Patentschriften normal. Sie sind insbesondere
keine Satire, sondern eine voll und ganz ernst gemeinte
Dokumentation des Wissens der Menschheit. (Diese Dokumentation ist
übrigens der ursprüngliche Sinn und Zweck des Patentsystems. Das
Monopol, das der Patentinhaber erhält, ist ein Ausgleich dafür,
daß er sein Wissen zum Wohle der Menschheit in der Patentschrift
dokumentiert.)
Wenn Sie der deutschen Fassung der Patentansprüche keinerlei
Sinngehalt abgewinnen können, versuchen Sie es mit der
englischen Fassung. Durch fehlerhafte Übersetzung von
Computer-Fachbegriffen in einem ohnehin schon nahezu
unverständlichen Text entarten die Patentansprüche in der
deutschen Fassung oft zu völlig sinnlosen Satzfragmenten.
Wie kann ich sicherstellen, mit meiner Software keine Patente
Dritter zu verletzen?
Schreiben Sie keine Software. Das ist leider die einzige
Möglichkeit, keine Software-Patente zu verletzen.
Kann ich meine Software mit Hilfe eigener Patente gegen die
Patente Dritter absichern?
Ein eigenes Patent ist eine Lizenz, anderen die Nutzung
bestimmter Ideen zu verbieten. Es ist kein Beleg dafür,
daß diese Ideen frei von gleichartigen Rechten Dritter sind.
Bei einer genügend großen Anzahl eigener Software-Patente (mehrere
100) besteht die Hoffnung, daß die Software Ihrer Konkurrenten
mindestens eins Ihrer Patente verletzt. Ein derartiger Patent-Pool
eignet sich als Verhandlungsmasse für
Kreuzlizensierungsvereinbarungen mit Konkurrenten; er schützt
jedoch nicht gegen Angriffe durch Patentinhaber, die
keine eigene Software produzieren, sondern ihr Geschäft
ausschließlich auf Patent-Lizenzgebühren stützen (sogenannte
Patent-Trolle).
Es gibt im Gegenteil sogar Anzeichen dafür, daß Ihr Unternehmen
durch eigene Software-Patente ein attraktiveres Ziel für
Patent-Trolle wird, denn diese sind an Ihren Patenten u.U. sogar
noch stärker interessiert als an Ihrem Geld und können Ihre
Patente als „Ausgleichszahlung“ für Ihre
„Patentverletzung“ fordern, um diese anschließend
gegen andere Unternehmen einsetzen zu können.
Wie kann ich dazu beitragen, daß Software-Patente in Europa
niemals rechtlich durchsetzbar werden?
Unterstützen Sie den FFII. Was Sie im einzelnen tun können, finden
Sie unten auf der Webseite
http://patinfo.ffii.org.
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