Antworten auf häufig gestellte Fragen
F:
Ich entwickle meine Software komplett selbst. Nun soll jemand
anderer Rechte daran haben? Das widerspricht doch dem gesunden
Menschenverstand und jedem Sinn für Gerechtigkeit!
A:
Es geht hier nicht darum, was Sie als gerecht empfinden und was
nicht. Im Gegenteil: Wenn Sie wegen Patentverletzung belangt
werden und vor Gericht in dieser Weise argumentieren, werden Sie
den Prozeß höchstwahrscheinlich verlieren.
Es geht hier um die Buchstaben des Gesetzes. Ob sich diese Ihrem
Rechtsempfinden in Zukunft weiter annähern oder sich noch weiter
davon entfernen, hängt mit von Ihrer Beteiligung ab.
Investitionsschutz
F:
Ist Patentschutz denn nicht notwendig,
um seine Investitionen vor Abschreibern zu schützen?
Ohne Investitionsschutz gibt es keinen Fortschritt!
A:
Das Urheberrecht ist der
perfekte Investitionsschutz für Software.
Das Urheberrecht hat sich in den letzten 20 Jahren als Motor der
Software-Branche bewährt. Es funktioniert bei Software sogar
besser als beispielsweise bei Büchern. Dies hängt damit zusammen,
daß bei Software eine Trennung zwischen bearbeitbarem Quelltext
und ausführbarem Binärcode möglich ist.
Software-Patente hingegen werden in der derzeit herrschenden
Praxis durchweg strategisch eingesetzt. Als Investitionsschutz
für Software sind sie zu schwerfällig, denn sie erzeugen
Wartezeiten von 6 Monaten bis zu mehreren Jahren sowie Kosten im
fünfstelligen Euro-Bereich. Das Urheberrecht hingegen wirkt
automatisch und sofort.
Es mag einzelne Firmen geben, die sich Vorteile von
Software-Patenten versprechen, aber niemand kann ernsthaft
behaupten, Software-Patente seien der Industrie insgesamt
förderlich.
F:
Wenn ein Entwickler viel Zeit in einen bahnbrechenden Algorithmus
hineingesteckt hat, ist es dann nicht angemessen, ihn durch ein
Patent zu belohnen?
A:
Der Entwickler kann – mit dem Urheberrecht als
Investitionsschutz – seine Entdeckung in Software umsetzen.
Dies hat in der Vergangenheit sehr gut funktioniert.
Ein potentieller Nachahmer, der das Original nur als ausführbaren
Code, nicht jedoch als Quelltext kennt, muß sich genau dieselbe
Arbeit machen wie der ursprüngliche Entwickler. Mit welcher
ökonomischen oder moralischen Begründung sollte man ihm das
verbieten dürfen?
Der kleine Erfinder, der durch ein Patent auf seine harte Arbeit
Wohlstand erlangt, ist nicht viel mehr als ein schönes Märchen.
In der harten Realität nutzen die größten Konzerne der Welt
Patente im Hunderterpack als Waffen gegeneinander und gegen
kleinere, flexiblere Konkurrenten.
F:
Dann lasse ich mir eine grundlegende Technik patentieren und
werde reich!
A:
Dies funktioniert nur dann, wenn Sie keine eigene Software
entwickeln, sondern sich ganz auf Patente konzentrieren. Es gibt
mehrere Firmen, die von einem derartigen Geschäftsmodell leben
(sog. Patent-Trolle).
Sobald Sie jedoch selbst Software entwickeln, verletzen Sie
unweigerlich Patente von Großunternehmen und können diese nicht
mehr wirkungsvoll wegen Verletzung Ihrer eigenen Patente
belangen.
Derzeitige Situation
F:
Ich lese hier immer „europäische Software-Patente“.
Ich dachte, die gäbe es noch gar nicht, sondern sie sollen erst
eingeführt werden?
A:
Ca. 65000 europäische Software-Patente sind entgegen geltendem
Recht erteilt worden. Hier weicht die Praxis der Patentämter
(„Status Quo“) stark von der aktuellen Rechtslage
(Art. 52 EPÜ) ab.
F:
Die europäischen Patentämter und Gerichte sind nicht dumm und
werden in der Lage sein, Trivialpatente abzuwehren und den
ehrlichen Unternehmer gegen absurde Forderungen zu
verteidigen.
A:
Die europäischen Patentämter haben bereits tausende von
Trivialpatenten erteilt, darunter z.B. das
Patent Nr. EP 394 160
auf den Fortschrittsbalken oder das
Patent Nr. EP 1 056 268 auf das
Versenden von E-Mail mit Anhängen – und das, obwohl die derzeitige
Rechtslage (Art. 52 EPÜ) Software-Patente eindeutig verbietet.
Selbst wenn wir davon ausgehen, daß die europäischen Gerichte
genügend Sachkenntnis besitzen, um einen gezielt mit
Computer-Fachbegriffen argumentierenden Patentanwalt zu
durchschauen, genügt in der Praxis meistens schon die
Androhung eines Gerichtsverfahrens mit siebenstelligem
Streitwert, um ein kleines bis mittelständisches Unternehmen oder
gar einen Einzelentwickler zum Aufgeben zu zwingen.
Die in den USA bereits laufenden Gerichtsprozesse zeigen
eindrucksvoll, wohin die derzeitige Entwicklung führt. Unsere
einzige Chance besteht darin, den Gerichtsprozessen erst gar
keine Grundlage zu geben – also das derzeitige Recht
beizubehalten und so eindeutig klarzustellen, daß jedes bereits
erteilte Software-Patent vor Gericht sofort als ungültig erkannt
wird.
F:
Ist die Schlacht nicht längst gewonnen? Das EU-Parlament hat doch
am 7.6.2005 mit überwältigender Mehrheit die
Software-Patent-Richtlinie zurückgewiesen.
A:
Durch das Zurückweisen der Richtlinie wurde für den Moment
verhindert, daß die vom Europäischen Patentamt bereits erteilten
Software-Patente auf einen Schlag offiziell auf eine solide
rechtliche Grundlage gestellt werden. Sie existieren jedoch
weiterhin und können benutzt werden, um Software-Entwickler vor
Gericht zu bringen. Dort erst muß – für jedes Patent
einzeln – deren Gültigkeit geklärt werden.
Darüberhinaus gibt es
neue Bemühungen von Kommission
und Rat, Software-Patente durch die Hintertür – diesmal
ohne Beteiligung des Parlaments – doch noch im Gesetz zu
verankern. Diese müssen aufgehalten werden.
F:
Ist die Schlacht nicht längst verloren? Es ist doch bereits seit
langem möglich, Patente auf Software-Lösungen zu erwerben.
Die europäische Patentübereinkunft (EPÜ) schließt Software von der
Patentierbarkeit aus. Bis in die 1980er Jahre hinein hat das
europäische Patentamt (EPA) selbst Patente auf Grundlage der EPÜ
zurückgewiesen mit der Begründung, die Innovation liege im Bereich
der reinen Logik, also gedanklicher Tätigkeit, mathematischer
Methodik – eben Software. Erst später ging das EPA dazu über,
die EPÜ in einer Weise auszulegen, die auch Patente auf reine Logik
zuließ.
Trotz wiederholter gegenteiliger Beteuerung der Patentjuristen
widersprechen die vom EPA erteilten Software-Patente den Buchstaben
und dem Geist der EPÜ und sind somit rechtswidrig. Daß dieser
Widerspruch nicht, wie behauptet wird, bereits seit langem
zugunsten der Software-Patente entschieden ist, erkennt man bereits
an den gewaltigen –
gescheiterten und
laufenden
– Bemühungen, die Rechtsauffassung des EPA im Gesetz
festzuschreiben, und daran, daß Gerichtsprozesse wegen der
Verletzung von Software-Patenten in der EU – im Gegensatz zu
den USA – bislang noch Ausnahmeerscheinungen sind.
Trivialpatente
F:
Wäre es nicht sinnvoller, das Problem der Trivialpatente mittels
der Erfindungshöhe zu lösen, anstatt Software-Patente generell
verhindern zu wollen?
A:
Sämtliche bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, daß ein
derartiger Lösungsansatz nicht funktionieren wird.
Allein die in Europa bereits erteilten
Software-Patente zeigen eindrucksvoll, daß die Patentämter
nicht in der Lage sind, Trivialpatente zu verhindern. Die oft
behauptete bessere Qualität europäischer Patentprüfungen im
Vergleich zu amerikanischen ist reines Wunschdenken.
F:
Sind Trivialpatente denn nicht die Ausnahme?
A:
Sie sind die Regel. Wenn Sie sich mit der Programmierung von
Software auskennen, sollte es Ihnen leicht fallen, sich davon
selbst zu überzeugen:
Unter
http://gauss.ffii.org
hat der FFII mehrere 10000 europäische Software-Patenten
dokumentiert. Wir schätzen die Gesamtzahl auf etwa 65000. Greifen
Sie ein beliebiges von diesen Patenten heraus, lesen und
verstehen Sie die Ansprüche und urteilen Sie selbst:
Auf wie hoch schätzen Sie den Aufwand, von der Problemstellung
zu der patentierten Lösungsidee zu gelangen, verglichen mit dem
Aufwand, die Patentschrift zu lesen?
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, daß ein Programmierer das
ihm unbekannte Patent durch reinen Zufall verletzt?
Wenn ein Kunde Sie mit der Lösung desselben Problems beauftragen
würde, für wie wahrscheinlich halten Sie es, daß Ihre unabhängig
entwickelte Lösung das Patent verletzen würde?
Für einen kleinen Teil dieser Patente liegen unter
http://swpat.ffii.org/patente/muster/index.de.html
bereits allgemeinverständliche Kurzbeschreibungen vor.
Anmerkung: Das eigentliche Ziel von Patenten soll die
Dokumentation von Wissen in den Patentschriften sein. Es sei an
dieser Stelle darauf hingewiesen, daß die in Patentschriften
vorgenommene „Dokumentation von Wissen“ für
Programmierer völlig wertlos ist.
Software-Patente und freie Software
F:
Wäre es nicht sinnvoller, eine Ausnahmeregelung
für freie Software zu erwirken, anstatt Software-Patente generell
verhindern zu wollen?
A:
Eine solche Ausnahmeregelung käme einem generellen Verbot von
Software-Patenten gleich, denn
freie Software darf sehr wohl
kommerzielle Software sein. Die Befürworter von Software-Patenten
wissen dies genau und versuchen, dieses Mißverständnis
dahingehend auszunutzen, daß es höchstens eine Ausnahmeregelung
für nichtkommerzielle Software geben wird. Damit wäre aber nichts
gewonnen, denn ein Patent betrifft ohnehin nur die kommerzielle
Nutzung einer Idee. Die Möglichkeit zur kommerziellen Nutzung ist
jedoch eins der wesentlichen Merkmale von freier Software.
F:
Einige Freie-Software-Projekte werden nichtkommerziell
entwickelt. Sind diese dann überhaupt durch Patente
angreifbar?
A:
Ja. Der Patentinhaber kann damit argumentieren, daß ihm durch die
Existenz der freien Software kommerzieller Schaden zugefügt wird.
Gerade bei nichtkommerzieller Entwicklung genügt oft auch die
Androhung rechtlicher Schritte, um die Entwickler zur Aufgabe des
Projekts zu zwingen, da für einen Gerichtsprozeß keine Mittel zur
Verfügung stehen.
F:
Ist Software, die im Quelltext verbreitet wird, denn überhaupt
durch Patente angreifbar? („Quelltextprivileg&ldquo)
A:
Nach dem Richtlinienentwurf der EU-Kommission vom 20.2.2002 wäre
Software erst in dem Moment durch Patente angreifbar, wenn sie
auf einem Rechner ausgeführt wird – also nicht beim Autor,
sondern erst beim Kunden. Dies nützt mir als Autor allerdings
wenig, denn mein Kunde wird mich für eventuelle Patentansprüche
Dritter zur Rechenschaft ziehen.
Der am 7.3.2005 verabschiedete Richtlinienentwurf des
Europäischen Rates enthielt einen Artikel, demzufolge bereits ein
Programmquelltext eine Patentverletzung dargestellt hätte.
F:
Wenn Software-Patente für freie Software so schädlich sind, wie
kommt es dann, daß die freie Software auch in Ländern, in denen
es Software-Patente gibt, wächst und gedeiht?
A:
Der große Erfolg der freien Software täuscht leicht über den
durch Software-Patente bereits angerichteten Schaden hinweg. Bei
einigen der unter
http://swpat.ffii.org/patente/wirkungen/index.de.html
beschriebenen Projekte, die wegen eines Software-Patents
aufgegeben werden mußten, handelte es sich um freie Software.
Solange es in Europa offiziell keine Software-Patente gibt,
halten sich darüberhinaus viele Patentinhaber mit Klagen zurück,
da eine Welle von Gerichtsprozessen der europäischen
Software-Patent-Debatte neuen Zündstoff geben würde.
Lösungsvorschläge
F:
Wäre es nicht ein sinnvoller Kompromiß, Software-Patente nur für
fünf Jahre zu gewähren?
A:
Eine kürzere Patentdauer würde natürlich die Dauer der
Schadwirkung verkürzen. Dies ist allerdings nach internationalem
Recht nicht zulässig: Das TRIPS-Abkommen schreibt vor, daß
Patentinhaber ihre Patente für mindestens 20 Jahre aufrecht
erhalten können.
Natürlich ist es prinzipiell möglich, über die Einführung eines
alternativen Schutzrechts für Software-Innovationen mit einer Dauer
von z.B. 5 Jahren zu diskutieren, aber in der aktuellen Diskussion
geht es um Patente, und deren Maximaldauer ist international auf
20 Jahre festgeschrieben.
F:
Kann man Software-Patenten nicht ausweichen, indem man
alternative Verfahren nutzt? Zum Beispiel Ogg/Vorbis statt MP3?
A:
In manchen Bereichen ist das tatsächlich möglich. Die Ogg-/Vorbis
Entwickler haben Patentrecherchen vorgenommen und gehen davon
aus, daß ihr Format keine Patente in den USA verletzt. Es gibt
aber auch Bereiche, in denen die Patente so zentral und breit
sind, daß eine Umgehung nicht möglich ist (z.B.
Panorama-Bilder).
Außerdem kann man niemals sicher sein: Patentrecherchen sind
unzuverlässig. Auch von JPEG hat man viele Jahre lang geglaubt,
es sei nicht von Patenten betroffen. Darüber, ob dies nun
vielleicht doch der Fall ist, muß noch vor Gericht entschieden
werden.
Darüberhinaus ist es immer ein Wettbewerbsnachteil, ein
Datenformat, das sich als De-facto-Standard etabliert hat,
umgehen zu müssen. Gerade auf dem Software-Sektor ist
Interoperabilität oft das A und O.
F:
Und was sollte nun Ihrer Meinung nach geschehen?
A:
Da Software-Patente nachgewiesen negativ auf die Wirtschaft
wirken, sollten sie grundsätzlich nicht vergeben werden.
Das EU-Parlament hat am 7.6.2005 einen Versuch, Software-Patente
zu legalisieren, mit überwältigender Mehrheit zurückgewiesen.
Damit wurde zwar eine Katstrophe abgewendet; die Lücken im
Gesetz, auf deren Grundlage fortlaufend weitere
EU-Software-Patente erteilt werden, bestehen jedoch weiter. Eine
Überarbeitung der Patentgesetzgebung auf Grundlage des
Roithová-Buzek-Rocard-Kompromisses
würde dies leisten.
Aktuell versuchen Kommission und Rat, Software-Patente über das
European Patent Litigation
Agreement (EPLA) doch noch im Gesetz zu verankern –
diesmal ohne Beteiligung des Parlaments. Dies muß verhindert
werden.
F:
Und wie kann man das erreichen?
Als Betroffene müssen wir uns jetzt und ständig für
unsere Interessen einsetzen, wenn wir nicht das Feld den
Patent-Abteilungen weniger Großunternehmen überlassen wollen, die
„im Namen der Software-Industrie“ die Einführung von
Software-Patenten fordern. Handeln Sie jetzt!
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